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Mikrobe des Jahres 2024

20. Juni 2024
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Bakterien, die Schadstoffe abbauen, Treibhausgase reduzieren und als Stromleiter fungieren können? Klingt wie Science-Fiction, gibt es aber. So genannte Kabelbakterien sind eine Art lebender Stromleiter.

Vor zwölf Jahren fanden Wissenschaftler am Grund von Gewässern mikrobielle Ketten, die Strom über mehrere Zentimeter leiten können. Der wichtigste Vertreter dieser neuen Kabelbakterien erhielt vorläufig den Namen Candidatus Electronema. Sie können zwar in der Natur nachgewiesen, aber noch nicht isoliert im Labor vermehrt werden. Wegen ihrer besonderen Fähigkeiten hat die Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie (VAAM) erstmals eine Bakterienart zur Mikrobe des Jahres erklärt, für deren vollständige Beschreibung die Reinkultur jedoch noch fehlt.

Kabelbakterien bilden bis zu fünf Zentimeter lange Ketten aus Zehntausenden von Bakterienzellen. Sie sind durch stromleitende Eiweißfasern in ihrer Zellhülle verbunden. Dies ermöglicht ihrem fadenförmigen mehrzelligen "Körper" eine einzigartige Arbeitsteilung. Im Gegensatz zu den Zellen in unserem Körper, die sowohl Nahrung aufnehmen (essen) können als auch Sauerstoff (atmen) aufnehmen können, teilen Kabelbakterien diese Aufgabe auf.  Zellen, die sich tief im  Sediment des Gewässers befinden, wo es keinen Sauerstoff gibt, können das chemische Element Sulfid in Sulfat umwandeln. Bei  diesem Prozess entstehen Elektronen, die über die stromleitenden Fasern der Bakterien zu den Zellen an der Oberfläche transportiert werden, wo Sauerstoff vorhanden ist. Die Zellen an der Oberfäche nutzen diesen Sauerstoff, um die Elektronen aufzunehmen (synonym zum Atmen). Das Besondere daran ist, dass die Kabelbakterien in der Lage sind, Elektronen über eine Distanz von mehreren Zentimetern zu transportieren. So können sie in sauerstofflosen Bereichen des Sediments überleben.     

Kabelbakterien produzieren im Sediment nicht nur Sulfat, sondern stellen durch ihre Stromleiter eine Art Verlängerungskabel als indirekte Verbindung zum Sauerstoff an der Sedimentoberfläche zur Verfügung. Damit stimulieren sie mikrobielle Aktivitäten, die sonst nur mit Sauerstoff möglich sind, und Populationen, die dort sonst nicht leben könnten.

So finden sich Kabelbakterien häufig in Gewässern, die mit Kohlenwasserstoffen belastet sind – etwa nach Benzin- oder Ölkontamination. Die Aktivität der Kabelbakterien kann den Schadstoffabbau erheblich ankurbeln: Sie steigern den Abbau aromatischer Kohlenwasserstoffe oder organischer Stoffe wie Faulschlamm in den Sedimenten überdüngter Seen. Es gibt bereits Ideen, Kabelbakterien gezielt zur Wiederaufarbeitung kontaminierter Standorte zu nutzen. Beispielsweise lässt sich die Wirkung der Kabelbakterien gezielt durch Elektroden im Sediment stimulieren.

Daneben gibt es weitere denkbare Einsatzmöglichkeiten: Kabelbakterien können beispielsweise helfen Treibhausgase zu verringern. So entsteht in überfluteten Reisfeldern jährlich eine große Menge des klimaschädlichen Methans. Kabelbakterien leben im Wurzelbereich von Reispflanzen und können dort die Methanbildung verringern.

Biokabel statt Elektroschrott?

Die Stromleitung in den Proteinfasern der Kabelbakterien ähnelt der eines metallischen Kabels. Damit sind sie für eine auf Biomaterialien basierende Elektronik äußerst interessant. Weltweit wird nur ein Fünftel der jährlich über 50 Millionen Tonnen Elektroschrott recycelt. Biologisch abbaubare Stromleiter könnten einen wichtigen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten. Die leitfähigen Strukturen der Kabelbakterien wurden bereits patentiert, doch von einer kommerziellen Umsetzung ist die Entwicklung noch weit entfernt.

"Mittlerweile sind zwölf Kabelbakterien-Arten beschrieben. Wie Candidatus Electronema können sie noch nicht als Reinkulturen im Labor vermehrt werden, aber dank genauer Genomdaten sind sie sehr gut charakterisiert. Die recht "neuen" Kabelbakterien sind nicht nur mikrobiologisch und biogeochemisch, sondern auch mit ihrem Anwendungspotenzial in der Umwelt- und Biotechnologie eine Sensation", heißt es in der Pressemeldung der Vereinigung für Allgemeine und Angewandte Mikrobiologie.

Zur Quelle der Meldung gehts hier. Mikrobe des Jahres 2024,